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14 / 1 / 2005 Fernsehhistoriographie: Geschichte(n) des Fernsehens

Fernsehhistoriographie: Geschichte(n) des Fernsehens

Editorial (PDF 110 kB)

Andreas Fickers
Nationale Traditionen und internationale Trends in der Fernsehgeschichtsschreibung
Eine historiographische Skizze

Judith Keilbach
Die vielen Geschichten des Fernsehens
Über einen heterogenen Gegenstand und seine Historisierung
(PDF 220 kB)

Knut Hickethier
«Ich bin da eher ein Historiker»
Ein Gespräch mit Knut Hickethier über die Geschichte der Fernsehhistoriograhie, persönliche Erinnerungen und die Konstruktion von Sinnzusammenhängen
(PDF 260 kB)

Lorenz Engell
Jenseits von Geschichte und Gedächtnis
Historiographie und Autobiographie des Fernsehens
(PDF 140 kB)

Vrääth Öhner
Konstitutive Unvollständigkeit
Zur Archivierung und Rekonstruktion von Fernsehprogrammen
(PDF 120 kB)

Lilli Hobl
Wege durch die Irrgärten deutscher Fernseharchive
Aufzeichnungen einer Fernsehhistorikerin
(PDF 163 kB)

William Uricchio
Formierung und Transformation des frühen deutschen Fernsehens (PDF 230 kB)

Anna McCarty
Regieren per Fernsehen?
TV-Filme im Dienste der Öffentlichkeit und die Archive der Frühzeit des US-amerikanischen Fernsehens
(PDF 328 kB)

Eggo Müller
Performativ, transformativ, interaktiv Fernsehen als Dienstleistungsagentur im digitalen Medienensemble (PDF 540 kB)

Gerlinde Waz und Peter Paul Kubitz
«Wir halten das Programm für einen Moment an»
Das Programm als Exponat. Ein Gespräch mit Gerlinde Waz und Peter Paul Kubitz

Sabine Lenk
«Es war ein Fest der Erinnerungen»
Einige Gedanken über das Ausstellen von Fernsehgeschichte im Museum
(PDF 247 kB)

Joan Bleicher
Zur Erinnerung an Peter Hoff (PDF 92 kB)

Karl Prümm
Eine Stifterfigur der Medienwissenschaft. Zum Tod von Helmut Kreuzer (PDF 74 kB)

Editorial

Wozu Fernsehgeschichte? Und wozu jetzt ein Heft über Fernsehhistoriographie? Obwohl das Fernsehen ohne Zweifel das Leitmedium der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts darstellt und sich diese Rolle in der gegenwärtigen Kultur mit dem Film und dem Internet teilt, ist die Geschichte des Fernsehens - sei es als Geschichte eines technischen Mediums, oder als Geschichte nationaler und transnationaler Fernsehkulturen - noch keineswegs geschrieben. Tatsächlich wächst die Zahl der akademischen Publikationen zu dem einst als populär verfemten Medium und seiner Geschichte stetig an - eine Entwicklung, die sich im deutschen Wissenschaftskontext nicht zuletzt der Einrichtung des «Sonderforschungsbereichs Bildschirmmedien» an der Universität Siegen vor 20 Jahren verdankt und die von der seit 2001 arbeitenden Forschergruppe zur Geschichte des Fernsehens in der DDR weiter befördert wird. Auch lässt sich feststellen, dass die Geschichte des Fernsehens immer häufiger zum Gegenstand musealer Inszenierungen wird, und dass sich das Fernsehen schließlich - sei es aus Anlass von Jahrestagen oder bei anderer Gelegenheit - zusehends mehr Programminhalte generiert, indem es sich seiner selbst erinnert. Gerade angesichts der Vervielfältigung produktiver Zugehensweisen zur Fernsehgeschichte in den letzten Jahren scheint es uns angezeigt, dass wir uns im Sinne einer Reflexion laufender Entwicklungen in einem Themenheft mit den unterschiedlichen Formen der Historisierung und Selbsthistorisierung des Mediums eingehend auseinander setzen.

In den beiden ersten Texten dieser Ausgabe geben Andreas Fickers und Judith Keilbach einen Überblick über die fernsehhistorische Forschung. Fickers zeichnet in seinem Beitrag die nationalen und internationalen Trends der Fernsehgeschichtsschreibung in den letzten Jahren nach. Er unterscheidet vier Phasen, die er vor dem Hintergrund der Verfügbarkeit von Quellen sowie ihrem institutionellen und wissenschaftspolitischen Kontext diskutiert, und plädiert abschließend für eine vergleichende Fernsehgeschichtsschreibung. Keilbach problematisiert in ihrem Beitrag hingegen die Heterogenität des Gegenstands Fernsehen und verweist auf die Notwendigkeit, eine Vielzahl von Geschichten des Fernsehens zu entwickeln. Das Gespräch mit Knut Hickethier, einer der Gründerfiguren der deutschsprachigen Fernsehwissenschaft, verschafft Aufschlüsse über die Etablierung der Fernsehgeschichtsschreibung, die Hickethier anhand seiner eigenen Stationen auf dem Weg zum Fernsehhistoriker rekapituliert. Er reflektiert die Möglichkeiten und Schwierigkeiten einer am Programm orientierte Fernsehforschung, betont die methodische und thematische Relevanz des interdisziplinären Arbeitens und spricht über sein Geschichtsmodell, Sinnkonstruktionen und die Darstellungsformen von Fernsehgeschichte. Da es ein Ding der lebenszeitlichen Unmöglichkeit darstellt, das Fernsehprogramm in seiner Ganzheit zur Kenntnis zu nehmen, und weil man in der Regel erst hinterher weiß, was fernsehhistorisch wichtig ist, spricht Hickethier sich für die Einrichtung einer fernsehhistorischen Mediathek aus und plädiert für einen Ausbau des Archivwesens an den Universitäten.

Um Geschichtssendungen im Fernsehen theoretisch zu beschreiben schlägt Lorenz Engell eine Differenzierung von Gedächtnis und Geschichte vor. Die Diskussion der Widerholungstätigkeit des Fernsehens und der verschiedenen formalen Merkmale von Geschichtsdokumentationen führt ihn vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Kennzeichen von Gedächtnis und Geschichte zu dem Schluss, dass sich im Fernsehen Historiographie und Autobiografie miteinander verschränken und dass Fernsehen sich jenseits der Differenz von Gedächtnis und Geschichte bewegt.

Vrääth Öhner stellt einen methodologischen Vergleich von Film- und Fernsehgeschichtsschreibung an, um die problematischen Bedingungen der Fernsehhistorie herauszuarbeiten, wobei sein besonderes Augenmerk der Archivsituation in Österreich und Deutschland gilt. Die wissenschaftliche Forschung, so konstatiert er, ist durch die Zugangsbeschränkungen und Erschließungspräferenzen ebenso behindert wie durch strukturelle Absenzen. Daher schlägt Öhner vor, Fernsehgeschichte (auch) als eine «Geschichte domestizierter Aktualität » zu betreiben. Beschränkungen des Zugangs zum Archiv sind auch Gegenstand des Beitrags von Lilli Hobl, die ihre Wege durch die Irrgärten der Fernseharchive schildert. Wohl ist es unter Aufbietung einschlägiger Tricks durchaus möglich, sich zu den Archiven Zutritt zu verschaffen, doch oft genug ist der Preis dafür die Instrumentalisierung der Fernsehwissenschaftler/-innen durch die Rundfunkanstalten. Eine Ausweg für die Materialbeschaffung, so Hobl, bieten das laufende Programm und private Netzwerke.

Einen methodologisch fokussierten Einblick in spezifische Forschungsgebiete der Fernsehgeschichte geben die Beiträge von William Uricchio und Anna McCarthy. Uricchio beschäftigt sich mit dem frühen deutschen Fernsehen, das weitgehend in Vergessenheit geraten ist. Er geht den Gründen und Auswirkungen dieser Amnesie nach, wobei er an die multinationalen Verflechtungen mit Nazideutschland und die alliierten Plünderungen der Fernsehlabore erinnert, und zeigt, dass sich der fragmentarische Charakter der historiographischen Wahrnehmung des NS-Fernsehens auch auf die Aufteilung der Archivbestände in einen BRD- und einen DDR-Bestand in den Jahren vor 1989 zurückführen lässt. Anna McCarthy wiederum widmet sich den US-amerikanischen ‹public 14/1/2005 Editorial 5 service›-Sendungen aus den ersten Jahren des kommerziellen Fernsehens. Ihre Auseinandersetzung mit den institutionellen und sozialen Kontexten dieser Sendungen führt zu einer Neudefinition des Verständnisses von ‹Fernsehen im Dienste der Öffentlichkeit›, das sie mit Bezug auf Foucault als Regierungstechnologie versteht.

Mit der Transformation des Fernsehens als gesellschaftlicher Institution beschäftigt sich Eggo Müller anhand von performativen, transformativen und interaktiven Formaten wie Lifestyle-Sendungen. Er legt dar, wie das zeitgenössische Fernsehen seine Zuschauer mittlerweile gleichermaßen als konsumierende Zuschauer und partizipierende Bürger adressiert und kommt zu dem Schluss, dass das Fernsehen im digitalen Medienensemble zu einer Dienstleistungsagentur geworden ist.

Wie kann Fernsehen ausgestellt werden? Mit welchen musealen Inszenierungen von Fernsehgeschichte lassen sich Zuschauer ansprechen? Diese Fragen gehören für die MuseumskuratorInnen Sabine Lenk, Gerlinde Waz und Peter Paul Kubitz zur täglichen Arbeit. Waz und Kubitz stellen in einem Gespräch das Konzept des Berliner Fernsehmuseums vor, das im Frühjahr 2006 eröffnet werden wird. Lenk wiederum reflektiert anhand der Auswertung einer Besucherumfrage zur Ausstellung «Feierabend - Fernsehzeit» im Düsseldorfer Filmmuseum die Rahmenbedingungen und grundsätzlichen Ziele von Ausstellungen zur Fernsehgeschichte.

Die deutsche Fernsehgeschichtsschreibung hat zwei Wissenschaftlern viel zu verdanken, die vor kurzem verstorben sind: Peter Hoff und Helmut Kreuzer. Im Sinne einer Würdigung ihrer Arbeit endet diese Nummer der montage/av mit Nachrufen auf Hoff und Kreuzer. Die Redaktion bedankt sich bei den Autoren Joan Kristin Bleicher und Karl Prümm für diese Texte.

Judith Keilbach und Vinzenz Hediger

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