32/02/2023
Klimakrise

Editorial: Klimawandel

Hans J. Wulff
Den Klimawandel erzählen?
Ein Thema zwischen Narrativität und Genrebindung

Giacomo Tagliani
Die ökologische Vorstellungskraft
Kino, Umwelt und Gemeinschaft in Zeiten der Klimakrise

Stefan Werning
Die Natur als transmediales Franchise?
Zu den Möglichkeiten und Grenzen von Ecogames

Matthias Grotkopp / Yvonne Pfeilschifter / Leona Schleicher
«Everyone must be a scientist»
Indigenes Wissen als Intervention in den audiovisuellen Diskurs der Klimakrise

Rebecca Boguska
«Schwarze Schwäne» grauer machen
Über Risikofigurationen der Küstenforschung

Eggo Müller
Das agro-industrielle Datenimaginäre
Big Data und die Mediatisierung der extraktiven Landwirtschaft

Skadi Loist / Maike Sarah Reinerth
Grüne Filmuni?
Zum nachhaltigen Kulturwandel in Filmproduktion und Ausbildung

KOSMISCHE BILDER

Jelena Rakin
Kosmische Bilder im Film
Die Perspektive als magische Form

Simone Winkler
Von der kosmischen Gebärde zum ökosensiblen Entanglement
Die Denkfigur des Kosmischen in Filmtheorie und Kino um 1920

IN MEMORIAM

Roger Odin
Ein Nachruf von Frank Kessler

Editorial


1 Globale Erderwärmung (Copernicus)
(Quelle: climate.copernicus.eu: https://is.gd/4Sl7hu)

Die Auswirkungen der globalen Erderwärmung sind nicht zu übersehen. In Deutschland haben in den letzten Jahren Hitzewellen und klimabedingte Trockenheit ebenso zugenommen wie extreme Regenfälle, die Hochwasser und Flutkatastrophen zur Folge haben. Hinweise auf Veränderungen des Klimas gab es schon lange, zunächst anhand von Messungen, die einen Anstieg des CO2-Gehalts in der Atmosphäre zeigten, dann auf Basis von Klimamodellen, mit denen berechnet wurde, wie sich die Zunahme von Treibhausgasen auf das komplexe Erdsystem auswirkt. Doch Warnungen vor einer Erhöhung der globalen Durchschnittstemperatur und einem Anstieg des Meeresspiegels wurden lange kleingeredet oder schlichtweg ignoriert.

Die Dringlichkeit politischen Handels wird seit der ersten Weltklimakonferenz im Jahr 1979 betont, aber erst 2015 wurde im «Pariser Klimaschutzübereinkommen» vereinbart, einen weiteren Anstieg der Erderwärmung auf weniger als 1,5 Grad Celsius anzustreben. Acht Jahre später war diese Marke bereits beinah erreicht: 2023 lag die globale Durchschnittstemperatur 1,498 Grad Celsius über dem vorindustriellen Mittel. Szenarien, die bis zum Ende dieses Jahrhunderts einen Anstieg zwischen 2,7 und 4,4 Grad Celsius vorhersehen (abhängig von der Menge der Treibhausgase, die wir weiterhin emittieren), gelten inzwischen als wahrscheinlich (Climate Change Report 2023 des Intergovernmental Panel on Climate Change, Summary for Policymakers).

In der Auseinandersetzung mit Klimawandel und Klimakrise spielen Medien eine zentrale Rolle. Zum einen sind Veränderungen im Erdsystem durch den Einsatz technischer Medien mess- und darstellbar. Die seit über hundert Jahren gesammelten Klimadaten ermöglichen es, den Klimawandel zu modellieren und Prognosen für zukünftige Entwicklungen aufzustellen. Visualisierungen, etwa zum Anstieg der CO2-Konzentration


2 Projektierter Anstieg des Meeresspiegels bis 2100
(Quelle: sealevel.nasa.gov: https://is.gd/leDNzp)

in der Atmosphäre, der Durchschnittstemperatur auf der Erde (Abb. 1), der Wassertemperatur der Ozeane oder der Höhe des Meeresspiegels (Abb. 2), führen das Ausmaß und die Beschleunigung der Veränderungen anschaulich vor Augen. Die Dringlichkeit des politischen und zivilgesellschaftlichen Handelns wird nicht zuletzt durch solche Bilder evident, zu denen sowohl Kurvendiagramme zählen als auch Landkarten, auf denen aus Hitzegründen unbewohnbare oder im Meer versunkene Küstenregionen verzeichnet sind.

Zum anderen sind populäre Medien Bestandteil des gesellschaftlichen Klimawandel-Diskurses. In verschiedensten Formen und Genres übersetzen sie wissenschaftliche Erkenntnisse in Alltagssprache oder einprägsame Bilder. Sie informieren über Ursachen und Auswirkungen der Erderwärmung und bieten Plattformen, um Kritik an politischen Maßnahmen (oder deren Ausbleiben), an den Entscheidungsträger:innen in Politik und Wirtschaft, aber auch an Klimaaktivist:innen und deren Strategien zu äußern.

Inzwischen haben etliche Filme und Fernsehsendungen das Thema aufgegriffen und setzen dabei auf unterschiedliche Modi der Darstellung, Erzählung, Argumentation und des emotionalen Appells. So erzählt The Day After Tomorrow (Roland Emmerich, USA 2004) mit Hilfe apokalyptischer Bilder von der plötzlich einbrechenden Katastrophe, während Roter Himmel (Christian Petzold, D 2023) ganz beiläufig das langsame Näherkommen von Waldbränden zeigt. Der Dokumentarfilm ThuleTuvalu (Matthias von Gunten, CH 2014) schildert die Konsequenzen des Anstiegs des Meeresspiegels für sowohl die Bewohner Qaanaaqs (Thule) im Norden Grönlands als auch die des Inselstaats Tuvalu im Pazifischen Ozean. Während die Inuit ihre Jagdgebiete verlieren und sich nicht mehr ernähren können, versinkt das flache Atoll unaufhaltsam im Meer. Beide Völker werden aufgrund des Klimawandels in die Migration gezwungen. Während ThuleTuvalu und andere Filme oder Fernsehsendungen das Anliegen verfolgen, globale Zusammenhänge klimatischer Veränderungen verständlich zu machen, indem sie mit eindrücklichen Naturdarstellungen und Aussagen Betroffener die Bedrohung des Lebens auf unserem Planeten beschwören, appellieren Filme wie An Inconvenient Truth (David Guggenheimer, USA 2006) oder Der laute Frühling (Johanna Schellhagen, D 2022) an ihre Zuschauer:innen. Mit ihrem ‹Call for Action› bzw. ihrem utopischen Entwurf vom gesellschaftlichen Zusammenleben zielen diese Filme darauf ab, das Publikum aufzurütteln und zum politischen Handeln zu bewegen.

Die Vielfalt an Filmen, die sich im weitesten Sinn mit Natur und dem Ökosystem auseinandersetzen, wird in der Filmwissenschaft seit einiger Zeit unter dem Begriff des Ecocinema zusammengefasst, der entweder als Genre-Bezeichnung oder auch als Kategorie verstanden wird, um die Wahrnehmung der Zuschauer:innen zu beschreiben (Cubitt 2005; Rust/Monani/Cubitt 2013 u. 2022; Alex/Deborah 2016; Kaplan 2016; Past 2019). Für Computerspiele gibt es inzwischen die analoge Bezeichnung Ecogames, die für sich in Anspruch nehmen, zum wachsenden ökologischen Bewusstsein der Spieler:innen beizutragen.

Doch auch wenn die Rolle nicht genug zu würdigen ist, die Medien beim Messen, Modellieren und Kommunizieren des Klimawandels und seiner Folgen zukommt, darf dabei nicht übersehen werden, dass auch sie die Umwelt belasten. So verbraucht das Sammeln, Speichern und Verarbeiten von Daten ebenso Rohstoffe und Energie wie die Produktion oder das Streamen von Filmen, Fernsehserien und Computerspielen (Bozak 2012; Maxwell/Miller 2013; Kääpä/Vaughan 2022; Jancovic/Keilbach 2023). Und natürlich müssen wir auch zur Kenntnis nehmen, dass die luxuriösen Lebensentwürfe, die in Medien verbreitet werden, CO2-intensiv, konsumistisch und ressourcenverbrauchend sind (Vaughan 2019). Im komplexen Gefüge der Klimakrise nehmen Medien daher eine durchaus ambivalente Position ein. Sie sind Teil des Problems, zu dessen Lösung sie beizutragen suchen. Dieser Ambivalenz sucht Montage AV mit diesem Schwerpunkt zum Thema «Klimakrise» Rechnung zu tragen.

Die hier versammelten Aufsätze nähern sich dem Thema Klimawandel und Klimakrise aus verschiedenen Richtungen und mit unterschiedlichen Erkenntnisinteressen. Im Beitrag von Hans J. Wulff geht es zunächst um die (Un-)Möglichkeit, vom Klimawandel überhaupt erzählen zu können, weil sich dieser eben nicht als punktuelles Ereignis zeigt, das als Auslöser oder Anstoß einer Geschichte dienen kann. Vielmehr vollzieht er sich als schleichender, sich den narrativen und dramaturgischen Strukturen entziehender Prozess. In Spielfilmen kommt das Thema daher, wenn überhaupt, im Katastrophenfilm und seinen Weltuntergangsszenarien vor, und hier fungiert das Klima dann eher als äußerer Anlass und Hintergrund für das Handeln der sich und die Welt rettenden Figuren. Der Artikel gibt einen Überblick über die Entwicklung der Climate Fiction im Film und zeigt, wie Genremuster und Erzählstrukturen die Darstellbarkeit der Klimakatastrophe bestimmen.

Hier schließt Giacomo Taglianis Aufsatz an, der drei künstlerische Dokumentarfilme, kollaborative Werke des Fotografen Edward Burtynsky, der Filmemacherin Jennifer Baichwal und des Kameramanns Nicholas de Pencier, als exemplarisch nimmt, um an ihnen zu untersuchen, mit Hilfe welcher Formen es uns ermöglicht werden kann, den Klimawandel zu imaginieren. Welche ästhetischen und sinnstiftenden Strategien braucht es, um den sukzessiven, tendenziell unsichtbaren Prozess der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen wahrnehm- und vorstellbar zu machen? Das Eco Cinema könnte die Aufgabe erfüllen, das ökologische Denken zu erneuern, indem es dazu beiträgt, neue Formen der Gemeinschaft und der Beziehungen zwischen den Menschen, Tieren und Pflanzen auf neue Art zu sehen.

Stefan Wernings Beitrag gibt einen Überblick über Ecogames, über digitale wie analoge Spiele, die – zumindest vordergründig – Mensch-Natur-Beziehungen und Konsequenzen der globalen Klimakrise thematisieren. Werning regt an, diese medienübergreifende Gamifizierung von ‹Natur› als Franchise-ähnliches Verfahren kritisch zu betrachten. In seiner Analyse fragt er danach, inwiefern populäre Mobil- und Brettspiele wie Township oder Cascadia tatsächlich das ökologische Bewusstsein der Spielenden ausbilden oder zumindest beeinflussen können.

Welchen Anteil die Funktionsweise unseres westlichen Wissenssystems, das in populären Naturdokumentarfilmen seinen Niederschlag findet, an der Aufrechterhaltung eines kapitalistischen, ressourcenorientierten Blicks auf ‹die Natur› als ‹Anderes› und als Objekt menschlichen Handelns hat, darauf machen Matthias Grotkopp, Yvonne Pfeilschifter und Leona Schleicher in ihrem Beitrag aufmerksam. Die Autor:innen plädieren für ein anderes Wissensverständnis, das von indigenen ways of relating lernt. Am Beispiel der (Selbst)Präsentation Indigener Menschen auf TikTok zeigen sie, wie sich eine solche Perspektive in audiovisuelle Kommunikation transformieren lässt.

Rebecca Boguska setzt sich mit einer Visualisierung des Deutschen Klimarechenzentrums aus dem Bereich der Küstenforschung auseinander, die eine Sturmflut aus dem Jahr 1906 in digitale Bewegtbilder übersetzt. Das historische Wetterereignis an der ostfriesischen Küste traf den Küstenschutz völlig unvorbereitet, weswegen es als «Schwarzer Schwan» gilt, als extreme, sehr unwahrscheinliche Sturmflut. Boguska zeigt in ihrer Diskussion der Datenvisualisierung, welchen Beitrag die Filmwissenschaft zum Verständnis solcher Bewegtbilder und damit auch zur Kommunikation des Klimawandels liefern kann.

Um die Optimierungs-, Effizienz- und Nachhaltigkeitsversprechen von Big Data in der sogenannten «Präzisionslandwirtschaft» geht es Eggo Müller in seinem Beitrag aus dem Feld der Ecomedia Studies. Ausgehend vom Konzept des «Datenimaginären» untersucht er Diskurse über Big Data in der mediatisierten, datenbasierten Landwirtschaft, wie sie in der Werbung für Agrartechnologien, in Artikeln von Lobbyisten, aber eben auch in agrarwissenschaftlichen Fachzeitschriften zu finden sind. In großangelegten Werbekampagnen zur Promotion seiner digitalen Dienste setzt der Landmaschinenhersteller John Deere auf Imaginationen einer vollautomatisierten, datengesteuerten Landwirtschaft. Diese erweist sich indes nicht als technologische Lösung für das ökologisch unhaltbare System der agrarindustriellen Massenproduktion, sondern treibt das klimaschädliche Modell extraktiver Landwirtschaft nur weiter voran.

Skadi Loist und Maike Sarah Reinerth rücken in den Blick, welche Verantwortung Hochschulen bei der Bewältigung der Klimakrise zukommt. In einem Werkstattbericht stellen sie verschiedene Aktivitäten und Initiativen an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF vor, bei denen es nicht nur um Sensibilisierung der Studierenden und Lehrenden für den Klimawandel geht, sondern auch ganz praktisch um Energieeinsparungen und Nachhaltigkeit in der ressourcenintensiven Filmproduktion.

Im Anschluss an den Heftschwerpunkt «Klimakrise» präsentiert diese Ausgabe von Montage AV ein weiteres Thema: Fragen nach Kosmos-Phänomenen zählen zu den zentralen Forschungsfragen unserer Zeit, zumal sich auf Grundlage neuer Technologien hier ganz neue Möglichkeiten erschließen. Das betrifft das Vordringen in den kosmischen Raum, aber auch in den Mikrokosmos und die Erforschung ökologischer Zusammenhänge der Lebenswelt auf unserem Planeten. So war 2023 in Deutschland zum Wissenschaftsjahr «Unser Universum» erklärt worden. Wir nehmen das zum Anlass, die Arbeit zweier Zürcher Wissenschaftlerinnen zu kosmosbezogenen Themen aus film- und medienhistorischer Sicht vorzustellen. Jelena Rakin geht der Visualisierung kosmischer Phänomene im Film nach, die unsere Wahrnehmungsmöglichkeiten überschreiten und daher vielfach auf Imaginationen beruhen. Sie untersucht die zweifache Dimension der Perspektive in den filmischen Kosmos-Bildern: Einerseits als effektive geometrische Zentralperspektive, die bei der Gestaltung des filmischen Raums seit den Anfängen des Kinos ins Mythische und Magische kippt; andrerseits wird die Perspektive auch als ideologische Weltsicht verstanden. In den Blick geraten zwei geografische und kulturgeschichtliche Orte – Paris und Kalifornien –, die an den Übergängen der letzten beiden Jahrhunderte für die Verschmelzung von positivistischem und magischem Denken stehen. Am Beispiel eines bislang wenig beachteten Textes von Carl Hauptmann zeichnet Simone Winkler nach, wie ‹das Kosmische› zu Beginn des 20. Jahrhundert auch als filmästhetische Denkfigur wirksam wird und welche Resonanz die damit verbundene ästhetische Sensibilität in den Filmen der Weimarer Republik findet. Sie arbeitet heraus, wie die entsprechenden filmtheoretischen Ideen, die auf Universalismus und Gestisch-Körperliches zielen, an Kosmos-Diskurse etwa in Kunst- und Musiktheorien um 1900 anknüpfen. Davon ausgehend skizziert sie Verbindungen zu jüngeren medienökologischen Ansätzen, in denen der Mensch als Teil einer komplexen Umwelt erfahrbar wird.

Im August 2023 ist Roger Odin verstorben. Frank Kessler erinnert an den Filmwissenschaftler, der für viele von uns ein filmtheoretischer Impulsgeber, ein akademischer Leitstern, ein Lehrer und nicht zuletzt ein Freund war, dessen Verlust wir zutiefst betrauern.

Judith Keilbach (als Gastherausgeberin) und
Britta Hartmann (für die Redaktion)

Literatur

  • Alex, Rayson K. / Deborah, Susan (Hg.) (2016) Ecodocumentaries. Critical Essays. London: Palgrave Macmillan.
  • Bozak, Nadia (2012) The Cinematic Footprint. Lights, Camera, Natural Resources. New Brunswick / London: Rutgers University Press.
  • Cubitt, Sean (2005) Eco Media. Amsterdam: Rodopi.
  • Jancovic, Marek / Keilbach, Judith (2023) Streaming against the Environment. Digital Infrastructures, Video Compression, and the Environmental Footprint of Video Streaming. In: Situating Data. Inquiries in Algorithmic Culture. Hg. v. Karin van Es & Nanna Verhoeff. Amsterdam: Amsterdam University Press, S. 85–102.
  • Kääpä, Pietari / Vaughan, Hunter (Hg.) (2022) Film and Television Production in the Age of Climate Crisis. Towards a Greener Screen. London: Palgrave MacMillan.
  • Kaplan, E. Ann (2016) Climate Trauma. Foreseeing the Future in Dystopian Film and Fiction. New Brunswick / London: Rutgers University Press.
  • Maxwell, Richard / Miller, Toby (2012) Greening the Media. New York: Oxford University Press.
  • Past, Elena (2019) Italian Ecocinema Beyond the Human. Bloomington: Indiana University Press.
  • Rust, Stephen / Monani, Salma / Cubitt, Seán (Hg.) (2013) Ecocinema. Theory and Practice. London / New York: Routledge. — / — / — (Hg.) (2022) Ecocinema. Theory and Practice 2. London / New York: Routledge.
  • Vaughan, Hunter (2019) Hollywood’s Dirtiest Secret. The Hidden Environmental Costs of the Movies. New York: Columbia University Press.

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